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Farbe bekennen


Macht es Sinn, sich als Autor politisch oder auch gesellschaftlich, ethisch und kontrovers zu äußern? Passt es in meinen Blog oder auf die Webpage eines Schriftstellers, seine Meinung über die einschneidenden Ereignisse in unserer Welt verlauten zu lassen?

Ich denke "Ja"!

Auch, wenn ich in letzter Zeit viel über Marketing und Strategien, kluge Präsentation und die rechte Darstellung erfahren habe, ist es mehr denn je wichtig darüber hinaus Farbe zu bekennen, sich laut zu äußern und eben diese freie Meinungsäußerung, die wir in Deutschland genießen dürfen, zu nutzen.

Ganz gleich, ob das dem Verkauf meiner Bücher nun nutzt oder nicht oder gar schadet. Es spielt keine Rolle, denn auch mein Denken hat sich verändert seit Corona und vielmehr noch seit dem Angriffskrieg in der Ukraine.

Und mein Fühlen.

Nie zuvor habe ich Ängste dieser Art entwickelt, nie zuvor auch nur im Entferntesten daran gedacht, dass es in Europa einen derartigen Gewaltakt geben könnte. Immer häufiger höre ich von Freunden und Bekannten, dass sie sich die Liste des Katastrophenschutzes anschauen und den Keller mit dem Wichtigsten füllen. Kerzen, Taschenlampen, Reis, Nudeln und Konserven. Und wahrscheinlich auch Klopapier.

Und ja, auch ich bin versucht dies zu tun und wahrscheinlich ist es gar nicht dumm zumindest auf das Schlimmste vorbereitet zu sein.

Während der vergangenen beiden Corona-Jahre habe ich mir viel über das angeschaut, was das Virus mit unserer Gesellschaft, mit all den Leuten macht. Und mit einem Mal halte ich inne und stelle fest, "Hoppla", es hat ja auch etwas mit mir gemacht. Sehr viel sogar. Denn auch mein Job, dem ich neben meiner schriftstellerischen Tätigkeit nachgehe, war ernsthaft bedroht. Ich musste mir Gedanken machen, wie ich eventuell als über 50jähriger nach 20jähriger Betriebszugehörigkeit mein Leben neu sortiere und vor allem, wie ich zukünftig mein Brot verdienen würde.

Ist nochmal gut gegangen. Doch das Gefühl der Fragilität ist geblieben. Die Haut ist dünner und die starken Wände des Eindrucks des Behütet-Seins bröckeln.

Beziehungen zu Freunden und Freundinnen haben sich verändert. Der Abstand wurde größer – gut, ich bin auch nach Frankreich gezogen – doch das alleine ist es nicht. Covid hat tatsächlich ein großes Stück Lebensfreude weggenommen. Und das wollte ich mir eigentlich nun zurückholen.

Pustekuchen! Der Krieg beginnt und ich spüre von Neuem eine erdrückende Sorge.

Erst vorgestern habe ich vom sogenannten Worry Burnout gelesen und musste zustimmend nicken. Ein Wording, von der New York Times erfunden, das den Zustand eines Menschen bezeichnet, der sich permanent existentielle Sorgen macht, permanent Angst hat und diese Unsicherheit verspürt, die sich dieser Tage ausbreitet. Zu einem ordentlichen Teil verspüre auch ich dies. Mir fehlt die Leichtigkeit und Unbeschwertheit, mit der ich sonst mein Tagewerk verrichtete.

Seit Wochen versuche ich etwas zu Papier zu bringen. Eine Kurzgeschichte steht an für die Nachfolge-Anthologie der Sternenglut, ein Scifi-Projekt wartet und auch eine andere Story, die in den Skizzierungen steckt, wartet und wartet. Und täglich beschleichen mich demotivierende und blockierende Gedanken, die ein Vorankommen nicht möglich erscheinen lassen.

Ich bin so fassungslos über die Ereignisse in der Ukraine, dass mir das Schreiben einer Geschichte nicht gelingen will. Das, liebe Lesefreundin/ lieber Lesefreund, ist mir noch nie passiert.

Optimismus und Energie begleiten mich nun seit ich denken kann. Und jetzt das.

Hat all das mit meinen Büchern zu tun oder mit Dir, wenn Du Dich über mein Schaffen und meine Geschichten informieren willst? Gewiss hat es das. Denn es dauert nun bereits etliche Monate, dass ich nicht kreativ bin, in die Tasten geschlagen habe oder mit einem Seufzer der Erleichterung gar ein "Ende" unter ein letztes Kapitel setzen konnte.

Man soll ja nichts Negatives auf solch einer Webpage, in einem solchen Blog schreiben, wenn man Leserinnen und Leser wie Dich erreichen möchte. Doch was man soll und nicht soll, relativiert sich ja zunehmendes. Sehr viel relativiert sich zurzeit und einfache menschliche Worte und Taten sind mehr denn je gefragt. Die Ukraine zeigt uns, was der reine Fokus auf Gewinnmaximierung und Geldgier bewirkt. Abhängigkeiten von Diktatoren, die die Freiheit des Einzelnen mit Füßen treten und unschuldige Menschen töten, einen ganzen Kontinent erschüttern. Doch alle machen immer fleißig mit, wenn die fette Kohle lockt, wenn das große Geld winkt. Dann ist es vollkommen egal mit wem man Geschäfte macht. Das ist die freie Marktwirtschaft. Moral und Nächstenliebe: Fehlanzeige!

Ich werde den Gürtel nun – wie wir alle – deutlich enger schnallen. In der Hoffnung, dass sich aber mit meinem/Deinem Zähne-zusammenbeißen etwas Grundlegendes ändert, tue ich es gerne.

Und vielleicht wächst nun auch mein Drang, Dir wieder gute Geschichten zu liefern.


Alles Gute


O. E. Wendt

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